Thorsten Konigorski

Ich bin Mu­si­ker und ar­bei­te im Bi­schöf­lich Müns­ter­schen Of­fi­zia­lat, der kirch­lich­en Ver­wal­tungs­be­hör­de für den nie­der­säch­sisch­en Teil des Bis­tums Müns­ter, der sich vom Ort Dam­me im Sü­den über Ol­den­burg und Wil­helms­ha­ven bis zur In­sel Wanger­ooge in der Nord­see er­streckt. Dort be­treu­e ich als Kir­chen­mu­sik­di­rek­tor in der Kir­chen­ent­wick­lung den Fach­be­reich Mu­sik.

Das Of­fi­zia­lat un­ter­stützt die Pfar­rei­en durch eine qua­li­fi­zier­te Or­gel­­sach­­be­ra­tung, die ich als zer­ti­fi­zier­ter Or­gel­sach­ver­stän­di­ger or­ga­ni­sie­re. Ne­ben der Be­ra­tung stre­ben mein Kol­lege Dr. Ga­bri­el Isen­berg und ich ein mö­glichst voll­­stän­di­ges Bild der Or­gel­land­schaft des Of­fi­zia­lats­be­zirks an, das wir – in di­gi­ta­ler Fort­füh­rung zu Fritz Schilds für den ka­tho­li­schen Be­reich nur als Kon­zep­tion vor­lie­gend­em Or­gel­at­las – auf der Web­sei­te „Or­geln im Ol­den­bur­ger Land“ do­ku­men­tie­ren.

Ich ha­be Lehr­auf­trä­ge an der Uni­ver­si­tät Vech­ta und un­ter­rich­te an den dort zur Ver­fü­gung steh­end­en Or­geln in Mu­sik­saal und Au­la. Bis­wei­len trifft sich mei­ne Or­gel­klas­se auch in der Prop­stei­kir­che oder in der „Klo­ster­kirc­he“ ge­nann­ten Si­mul­tan­kir­che am Fran­zis­ka­ner­platz in Vech­ta. Dort be­fin­det sich eine Or­gel des ex­zel­len­ten Or­gel­bau­ers Ge­rald Woehl – ge­nau wie in der Re­mi­gi­us­kir­che in Vier­sen, in der ich zwan­zig Jahre lang Kan­tor war. In der Uni fin­det auch der Grup­pen­un­ter­richt der kir­chen­mu­si­ka­lischen C-Ausbildung unter mein­er Lei­tung statt. Do­zen­tin­nen und Do­zen­ten hier­bei sind die De­ka­nats­kan­torin­nen und -kantoren aus den Pfar­rei­en des Of­fi­zia­lats­be­zirks.

Ich bin Teil der Li­tur­gie- so­wie der Kir­chen­mu­sik­kom­mis­si­on des Bi­schofs von Mün­ster, sit­ze im Vor­stand der Ar­beits­ge­meinschaft der Äm­ter und Re­fe­ra­te für Kir­chen­mu­sik in Deutsch­land, bin Mit­glied der Kon­fe­renz der Lei­terIn­nen kir­chen­mu­si­ka­lisch­er Aus­bil­dungs­stät­ten in Deutsch­land, der Ver­ei­ni­gung der Or­gel­sach­verstän­di­gen in Deutsch­land (Be­irat für die Aus­bildung), der Ge­sell­schaft der Or­gel­freun­de so­wie der Ge­sell­schaft für Mu­sik­theo­rie. Ich en­ga­gie­re mich nach wie vor für den Ver­ein Kir­chen­mus­ik in St. Re­mi­gi­us Vier­sen e.V.

Thorsten Konigorski

Aua Maria

Wieder wurde von mir zu einer Beerdigung „das Ave Maria“ gewünscht. Falls der Wunsch nicht mittelbar an mich herangetragen wird, entsteht meist zunächst Verwirrung darüber, dass diese Bezeichnung alles andere als eindeutig ist: es gibt ja tausende Vertonungen dieses Textes. In den meisten Fällen ist Bachs C-Dur-Präludium BWV 846 gemeint, dem Charles Gounod 1852 neben dem Schwenckeschen Takt ziemlich gelungen eine Melodie hinzufügte.

Nun wäre es eine Illusion anzunehmen, als Musiker einen klar definierten oder auch nur definierbaren Gehalt zu transportieren, und der Hinweis auf die Intertextualität von Kunstwerken wäre gerade in diesem Fall eine Platitude. Dennoch frage ich mich im vollen Bewußtsein interpretatorischer und rezeptorischer Unkontrollierbarkeit: Ist es überhaupt noch rezipierbar? Seit das Stück inflationär in Kaufhäusern, Fahrstühlen, Weihnachtsmärkten und zu allen Handlungen erklingt, die irgendjemand als sakral oder besonders fromm - oder eben auch genau dies nicht - empfindet, vollkommen jenseits irgendwelcher inhaltlicher (z.B.: marianischer) Zusammenhänge, erscheint es seines originären Gehalts so nachhaltig entleert wie eine weiße Projektionsfläche.

Da stellt sich schon die Frage, warum jemand sich dieses Stück wünscht. Oder besser: warum ihm der Vorzug vor anderen Stücken gegeben werden soll.

Meine Reaktion besteht regelmäßig darin, aus Respekt vor den Wünschen trauernder Angehöriger die Zusage zu machen, „die Melodie“ zu spielen. Und dann greife ich auf eine Bearbeitung meines Vor-Vorgängers zurück, die dieser vor mindestens 50, wahrscheinlich schon 60 Jahren mit Tinte auf ein dickes Stück Papier gemalt hat. Mein unmittelbarer Vorgänger hat es mir überlassen, und ich trage es als Digitalisat normalerweise bei mir. Es erklingt mithin nicht „das Ave Maria“, sondern eine Bearbeitung der Bearbeitung der Vorlage. Die Melodie ist präsent, auch die Harmonien. Bachs Figurationen dagegen kaum. Ein Torso, dessen Aufführung mir einerseits angesichts der Kompositionsgeschichte des Stücks selbst und andererseits angesichts der an St. Remigius mithin ein halbes Jahrhundert von kompetenter Hand herrschenden Praxis gerechtfertigt erscheint.

Die Infragestellung durch die Rezeptionsgeschichte und die damit verbundene Frage, ob es nicht besser wäre, das Stück um des Stücks Willen vorübergehend einfach zu vergessen, bleibt allerdings bestehen.

21. April 2017